Verstirbt ein Mensch, dessen Eltern nicht mehr leben und der selbst keine eigenen Nachkommen hat, kommen Nichten und Neffen als Erben ins Spiel. Angehörige dieser Verwandtschaftsgrade haben – im Gegensatz zu den Kindern des Erblassers – jedoch keinen Anspruch auf einen Pflichtteil am Erbe.
Was ist das Pflichtteilsrecht in Deutschland?
Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist in § 2303 geregelt, dass nahe Verwandte einen gesetzlichen Anspruch auf einen Anteil am Nachlass des Verstorbenen haben.
Konkret sieht das Gesetz vor, dass diese Personengruppen einen Anspruch auf einen Pflichtteil haben:
- Kinder (und deren Nachkommen, also Enkel und Urenkel des Erblassers)
- Eltern
- Ehepartner bzw. eingetragene Lebenspartner
Der Pflichtteil am Erbe beträgt für Kinder, Partner und die Eltern jeweils die Hälfte des gesetzlichen Anspruchs. Fanden vor dem Tod Schenkungen an Dritte statt, kann der Pflichtteilsergänzungsanspruch zum Tragen kommen.
Was beinhaltet die gesetzliche Mindestteilhabe am Erbe?
Die Mindestteilhabe am Erbe ist im deutschen Erbrecht verankert und wird in der Umgangssprache als Pflichtteil bezeichnet. Obwohl jeder Bürger ansonsten frei darin ist, sein Testament so gestalten, wie er es möchte, schränkt der Anspruch auf den Pflichtteil den Erblasser damit ein. Selbst wenn der Erblasser sein Vermögen an eine Person seiner Wahl vermacht, können alle Pflichtteilsberechtigten ihren Pflichtteil von den Erben einfordern.
Die Berechnung des Pflichtteils
Um den Pflichtteil zu berechnen, muss man wissen, wie viele Erben es in der gesetzlichen Erbfolge gibt. Hat ein Erblasser zum Beispiel eine Ehefrau und setzt diese zur Alleinerbin ein, können die Kinder dennoch ihren Pflichtteil geltend machen.
Der gesetzliche Anspruch aller Kinder am gesamten Erbe beträgt 50 %. Der Pflichtteil beträgt somit 25 %. Hier finden Sie Beispielrechnungen, um zu sehen, wie hoch der Pflichtteil bei verschiedenen Konstellationen ist:
- Bei zwei Kindern ergibt sich ein Pflichtteil von ⅛ pro Kind
- Bei drei Kindern beträgt der Pflichtteil pro Kind 1/12
- Bei vier Kindern sind es 1/16 pro Kind
Die Rolle von Schenkungen und Verfügungen
Schenkungen spielen bei der Berechnung des Pflichtteils eine Rolle, sofern sie in einem Zeitraum von zehn Jahren vor dem Tod des Erblassers getätigt worden sind. Hier gilt die sogenannte 10-Jahresfrist. Sie besagt, dass eine Schenkung im Jahr vor dem Tod des Erblassers in Bezug auf ihren Wert so gezählt wird wie ein Erbe. Fand die Schenkung früher statt, vermindert sich ihr Wert für jedes verstrichene Jahr um 10 %. Das kann bedeuten, dass Kinder durch die Schenkung bereits ihren Anteil auf ihren Pflichtteil erfüllt hat.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach Schenkungen
Andererseits können Pflichtteilberechtigte gegenüber Dritten einen Pflichtteilergänzungsanspruch geltend machen, wenn es während der letzten 10 Jahre vor dem Tod des Erblassers entsprechende Schenkungen gab, die in diesem Fall das Vermögen beträchtlich vermindert haben. Das sind Zahlungen, die den Pflichtteilanspruch erhöhen.
Verfügungen im Testament
Durch eine Verfügung kann der Erblasser die gesetzliche Erbfolge in seinem Testament außer Kraft setzen. Das kann bedeuten, dass er nahe Angehörige mit einem Pflichtteilsanspruch enterbt. Diese Personen können den Pflichtteil aber dennoch gegenüber den Erben geltend machen. Es sei denn, sie wurden aus einem triftigen Grund, wie einer Straftat, enterbt.
Haben Nichten und Neffen Anspruch auf einen Pflichtteil?
Das BGB sieht vor, dass nur nahe Verwandte eine gesetzliche Mindestbeteiligung am Nachlass des Verstorbenen erhalten. Als nahe Verwandte gelten Ehepartner bzw. Lebenspartner sowie die Erben 1. Ordnung (Eltern und Kinder). Nichten und Neffen zählen zu den Erben 2. Ordnung und haben daher – anders als die Kinder des Erblassers – keinen Anspruch auf einen Pflichtteil am Erbe.
Die Position von entfernten Verwandten und Geschwistern im Erbrecht
Das deutsche Erbrecht teilt die Erben in vier Ordnungen auf und berücksichtigt dabei auch die Geschwister und entfernte Verwandte.
- Erben 1. Ordnung: Eltern und Kinder (und Enkel, Urenkel usw.)
- Erben 2. Ordnung: Eltern und deren Nachkommen (Geschwister, Neffen, Nichten)
- Erben 3. Ordnung: Großeltern und deren Nachkommen (Onkel, Tanten)
- Erben 4. Ordnung: Urgroßeltern, Großonkel und Großtanten
Einen Pflichtteilsanspruch können nur die Erben 1. Ordnung, also Kinder und deren Nachkommen sowie die Eltern und Ehepartner bzw. Lebenspartner geltend machen.
Spezialfall: Enterbungen und deren Auswirkungen auf Pflichtteilsansprüche
Jedem Menschen steht es frei, seine Angehörigen zu enterben.
Ein Vater kann per Testament seine Kinder enterben und nur seine Frau als Alleinerbin einsetzen. Ihren Pflichtteil können die Kinder aber trotz Testament geltend machen. Da stellt sich die Frage, wie hoch der Pflichtteil bei Enterbung ist. Der Pflichtteilsanspruch beträgt die Hälfte des gesetzlichen Anspruchs.
Enterbung in Testamenten und Erbverträgen
Damit eine Enterbung rechtsgültig ist, kann sie entweder in einem Testament oder in einem Erbvertrag benannt werden. Eine Enterbung ist auch dann möglich, wenn man eine Person im Testament nicht ausdrücklich benennt. Der Pflichtteilsanspruch von Kindern, Eltern oder Ehepartnern bleibt aber von der Enterbung unangetastet. Es sei denn, es gibt triftige Gründe für die Enterbung. Dazu gehören folgende Sachverhalte:
- Schweres Vergehen gegen das Leben des Erblassers
- Verletzung der Unterhaltspflicht
- Ausübung einer schweren Straftat mit einer Freiheitsstrafe oder Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt
Ein Kind zu enterben, da kein Kontakt mehr zu ihm besteht, ist also nicht möglich.
Pflichtteilsstrafklausel und ihre Bedeutung
Verfassen zwei Ehepartner gemeinsam ein Testament, können sie eine Pflichtteilsstrafklausel einbauen. Die Klausel kann etwa folgendermaßen lauten: “Fordert ein Pflichtteilsberechtigter seinen Pflichtteil nach dem Tod des Erstverstorbenen ein, so wird er samt seinen Nachkommen von der weiteren Erbfolge des Längerlebenden ausgeschlossen.”
Die Klausel kommt zum Einsatz, um das Vermögen zu schützen, wenn ein Elternteil noch lebt. Sie kann zum Beispiel bewirken, dass der Ehepartner im Haus bleiben kann, dass andernfalls verkauft werden müsste, um den Pflichtteil der Kinder auszahlen zu können.
Bei der Formulierung ist die Beratung durch einen Rechtsanwalt sinnvoll, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und das Testament vor Anfechtung zu schützen.
Wie hoch ist der Pflichtteil?
Der Pflichtteilsanspruch beträgt per Gesetz 50 % des gesetzlichen Erbanspruchs. Um den Pflichtteil zu berechnen, ist es also nötig zu wissen, wer die Miterben sind.
Hat der Erblasser eine Ehefrau und drei Kinder, berechnet sich der Pflichtteil folgendermaßen:
- 50 % des Erbes gehen in der gesetzlichen Erbfolge an die Ehefrau
- 50 % werden unter den drei Kindern aufgeteilt
In der gesetzlichen Erbfolge würde das bedeutet, dass jedes Kind ⅙ erbt. Der tatsächliche Pflichtteil am Erbe beträgt für jedes der 3 Kinder 1/12.
Beispiele zur Veranschaulichung der Pflichtteilshöhe
Angenommen, ein Erblasser war verheiratet und hat zwei Kinder. Er besitzt ein Vermögen von 100.000 Euro. Im Testament setzt er seine Frau als Alleinerbin ein. Die Kinder haben dennoch einen Pflichtteilsanspruch. Konkret sieht die Pflichtteilshöhe so aus.
- Der gesetzliche Anspruch für die Kinder beträgt 50 % am Erbe.
- Der Anspruch für jedes der Kinder beträgt 25.000 Euro (je 25 %)
- Der Pflichtteil ist die Hälfte des gesetzlichen Anspruchs und beläuft sich auf 12.500 Euro pro Kind
Vorgehensweise bei der Geltendmachung des Pflichtteils
Wer seinen Pflichtteil geltend machen möchte, muss selbst aktiv werden. Sie können nicht davon ausgehen, dass Ihnen ein Erbe den Pflichtteil aktiv anbietet. Um den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, ist das folgende Vorgehen empfehlenswert:
- Prüfen ob eine Berechtigung vorliegt
- Fristen in Bezug auf die Verjährung beachten (3 Jahre nach dem Tod des Erblassers)
- Auskunft von dem oder den Erben verlangen
- Wertermittlung durch einen unabhängigen Gutachter durchführen lassen
- Den konkreten Anspruch auf den Pflichtteil berechnen
- Den Anspruch schriftlich geltend machen.
Es gibt Fälle, in denen dann ein Erbe das geerbte Haus verkaufen muss, um den Pflichtteil auszahlen zu können.
Auskunftsansprüche der Pflichtteilsberechtigten
Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt in § 2314 Abs. 1. dass Pflichtteilsberechtigte drei Ansprüche haben:
- Anspruch auf Auskunft über ein Nachlassverzeichnis, um Einsicht in Bezug auf Schenkungen nehmen zu können
- Anspruch auf eine unabhängige Wertermittlung, v.a. bei Immobilien
- Anspruch auf Auszahlung des Pflichtteils
Die Verjährung von Pflichtteilsansprüchen
Wer einen Pflichtteil geltend machen möchte, hat dafür keine unbegrenzte Zeit. Der Pflichtteilanspruch verjährt drei Jahre nachdem der Berechtigte vom Tod des Erblassers erfahren hat.
Die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch auf den Pflichtteil entstanden ist und der Pflichtteilsberechtigte davon erfahren hat.
Fazit zu Anspruch auf Pflichtteil für Nichten und Neffen
Gerade wenn ein Erbe an entfernte Verwandte geht, gibt es oft viele Fragen. So stellt sich in Zusammenhang mit Erbschaften die Frage, ob auch Nichten und Neffen des Erblassers einen Anspruch auf den Pflichtteil haben. Diese Frage kann mit einem klaren “Nein” beantwortet werden. Das BGB sieht nur vor, dass nahe Angehörige eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestbeteiligung am Vermögen des Erblassers erhalten.
FAQs zu Anspruch auf Pflichtteil für Nichten und Neffen
Wer hat Anspruch auf einen Pflichtteil des Erbes?
Anspruch auf einen Pflichtteil haben Ehepartner bzw. eingetragene Lebenspartner sowie Kinder (leibliche und Adoptivkinder).
Haben Nichten und Neffen einen gesetzlichen Anspruch auf einen Pflichtteil?
Nein, Nichten und Neffen können zwar im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge erben, haben aber keinen Anspruch auf einen Pflichtteil.
Können Nichten und Neffen im Testament als Erben berücksichtigt werden?
Der Verfasser eines Testaments kann seine Erben beliebig einsetzen und damit auch Nichten und Neffen zum Beispiel als Alleinerben einsetzen.
Wie erben Nichten und Neffen, wenn kein Testament vorhanden ist?
Nichten und Neffen erben als Erben 2. Ordnung nur, wenn es keine Erben 1. Ordnung gibt. Allerdings auch nur dann, wenn die Eltern und Geschwister des Erblassers bereits verstorben sind.
Was ist die gesetzliche Erbfolge bei fehlenden direkten Erben?
Gibt es keine Erben 1. Ordnung, würden die Erben 2. Ordnung erben, also die Eltern des Erblassers, seine Geschwister oder eben Neffen und Nichten.